Arbeitnehmer in kritischen Berufen sind dreifach benachteiligt
Blog-Beitrag von Nadja Dörflinger auf "Social Europe" (SE), einer unabhängigen Plattform, die dazu beitragen möchte, politische Entscheidungsfindung mit vertieften politischen und wirtschaftlichen Analysen zu unterstützen.
Datum 09.09.2020
Auf dem Höhepunkt der Pandemie genossen Beschäftigte in kritischen Berufen nächtlichen öffentlichen Applaus. Jetzt brauchen sie eine längerfristige, konkrete Wertschätzung.
Die Coronavirus-Pandemie hat unsere Definition dessen, wer und was für Wirtschaft und Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist, deutlich verändert. Während der Bankensektor in der Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 als "systemisch bedeutsam" eingestuft wurde, sind aktuell ganz andere Berufe und Sektoren in den Vordergrund gerückt. Heute gelten Mitarbeiter im Einzelhandel, in der Logistik oder im Pflegebereich als kritisch für die Gesellschaft, da sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung sichergestellt haben.
Diese kritischen Berufe haben zwei Gemeinsamkeiten: Erstens handelt es sich um Dienstleistungsaufgaben an vorderster Front, die durch direkten Kontakt mit Kunden, Patienten oder verwandten Gruppen gekennzeichnet sind. Der European Working Conditions Survey (2015) zufolge leisten etwa 41 Prozent der Beschäftigten in Europa interaktive Dienstleistungsarbeit. Zweitens leiden Arbeitnehmer in kritischen Berufen häufig unter vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen. Die Löhne sind in der Regel niedrig, atypische Beschäftigungsformen sind weit verbreitet und langfristige Karriereperspektiven sind häufig rar.
Woher rührt diese Benachteiligung von Arbeitnehmern in systemisch relevanten Sektoren und Berufen? Im Falle Deutschlands gibt es drei Quellen: das Regulierungssystem, die soziodemographischen Merkmale der Arbeitskräfte und die spezifische Eigenheit von Interaktionsarbeit.