Drei Fragen an BeDien - Wissenschaftliche Begleitforschung für Personennahe Dienstleistungen
„Drei Fragen an…“ ist ein Kurzinterview-Format, in dem Projekte über ihre Arbeit berichten.
Datum 21.05.2021
Bislang liegt der Fokus meist auf produktnahen und nicht auf personennahen Dienstleistungen. Letztere gehen nicht vom Produkt, sondern von Werten aus, die der Kunde für sich in seinem Leben schafft. BeDien ändert das und rückt personennahe Services sowie den Kunden in den Mittelpunkt. Gesellschaftliche und unternehmerische Entwicklungen sowie neue technologische Möglichkeiten führen zu Veränderungen in den personennahen Dienstleistungen. Durch die Digitalisierung kommt es zu neuen Bedürfnissen und Dienstleistungsangeboten, starre Prozesse und Strukturen brechen auf und es braucht innovative Antworten. So steht auch die Nutzung von innovativen Kommunikations- und Informationstechnologien für personennahe Dienstleistungen noch am Anfang und geht mit umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsbedarfen einher. Hier knüpft die BeDien-Begleitforschung an.
Zum einen unterstützt BeDien die acht Verbundprojekte des BMBF-Förderprogramms „Personennahe Dienstleistungen“ wissenschaftlich sowie praxisorientiert in ihrer Entwicklung. Die Erkenntnisse der Projekte werden miteinander vernetzt, zusammengeführt und zugleich mit Expert*innen, Unternehmen sowie politischen Akteur*innen diskutiert. Andererseits leistet BeDien eigene theoretisch-empirische Arbeit. Dabei wird nicht nur der aktuelle Stand der Dienstleistungstheorie und des Service Design berücksichtigt, sondern ebenso die Wirkung der digitalen Transformation auf Innovationen in den entsprechenden Branchen. In einem neuen Forschungsrahmen – der BeDien-Service Canvas – werden diese Entwicklungen zusammengeführt. Im Anschluss werden die Erkenntnisse hieraus mit den empirischen Fallstudien aus den Projekten verglichen und validiert.
Ziel der wissenschaftlichen Begleituntersuchung ist es, die Erkenntnisse der Förderlinie als wissenschaftlich fundiertes, praktisch umsetzbares und politisch anschlussfähiges Wissen zu verbreiten und weiterzuentwickeln. In Form von interaktiven und diskussionsanregenden Beiträgen sollen die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und allen Interessierten nachhaltig zur Verfügung gestellt werden.
1. Welchen Herausforderungen stehen Personennahe Dienstleistungen bereits jetzt und zukünftig gegenüber?
Die Herausforderungen für die Gestaltung von Personennahen Dienstleistungen ergeben sich aus zwei fundamentalen Aspekten: (1) aus der Notwendigkeit der Entwicklung einer unternehmerischen Dienstleistungskultur, von einer produktorientierten zu einer Nutzwert-orientierten Perspektive, sowie (2) aus der Digitalisierung.
In einer konsequenten Dienstleistungsorientierung – und somit den Überlegungen der Service Logik (neues Konzept der Dienstleistungsforschung und des Marketings) folgend – ist ein Produkt in seinem Selbst nicht mehr wertvoll. Es ist nicht der Kauf eines Sachgutes, der Bedürfnisse von Kunden deckt. Stattdessen sind es die Kompetenzen, beispielsweise zur Produktion des Produktes oder in der Dienstleistung, über die der Kunde nicht selber verfügt und die er vom Anbieter in Anspruch nimmt, um sich selber einen Wert (Value in Use) zu verschaffen. So versprechen Kompetenzen, wie z. B. ein Auto zu bauen oder Busfahrten zu organisieren, jeweils den Wert der Mobilität, während ein Haarschnitt des Friseurs zum Value in Use des besseren Aussehens führt. Immer stellt sich in der Dienstleistung - insbesondere in der Personennahen Dienstleistung - ein Nutzwert für Menschen als individuell und kontextbezogen dar.
Somit rückt der Kunde und seine eigene Wertschaffung in den Mittelpunkt der Service-Orientierung. Mehr über den Kunden und seine Bedürfnisse zu wissen, von ihm eingeladen zu werden zu dem von ihm zu schaffenden Wert beizutragen und ihn in unternehmerische Prozesse zur Entwicklung passender Angebote zu integrieren, wird in Zukunft ausschlaggebend für den unternehmerischen Erfolg. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kunde stets selbst und aktiv bestimmt, mit wem er zusammenarbeiten möchte, welche Unternehmenskompetenzen als Service zur Co-Creation seines Wertes beitragen können und wie und wann er sich selber einbringt.
Um als Co-Creator zu überzeugen, braucht es wiederum, als neue Währungen neben dem Geld, Kompetenzen wie Wissen über den Kunden oder Reputation einen Interaktionsraum zwischen den Partnern. Denn hier gilt, dass jede Interaktion wertvoll ist. Gut gestaltete Kontaktpunkte mit dem Kunden bieten einen nicht zu vernachlässigenden, eigenen Wert - den Value in Interaction.
Da in der Philosophie der neuen Service Kultur jeder Akteur zugleich derjenige ist, der seinen eigenen Wert schafft und zum Wert anderer beiträgt, wird klar, dass zur Werterstellung eine Vielzahl von miteinander verwobenen Akteuren notwendig ist: es bilden sich Service-Ökosysteme.
Dieses ineinandergreifende Verständnis von Value-in-Use, Value-in-Interaction und den Dynamiken in einem Service-Ökosystem muss sich in einer neuen unternehmerischen Service Kultur widerspiegeln. Sie umfasst gleichermaßen Prozesse, Methoden, Geschäftsmodelle und Innovationskonzepte – und dies unternehmensintern sowie unternehmensextern ausgerichtet, orientiert am Kunden, an Geschäftspartnern und an Mitarbeitern. Ein solcher Wandel stellt die zentrale Herausforderung für Unternehmen dar, da er verstanden, umgesetzt und gelebt werden muss.
Hinzu kommt die Digitalisierung, die eine weitere zentrale Bedeutung an die Anforderungen von Personennahen Dienstleistungen stellt, da sie Lebensmuster, Konsumstile, Nutzerbedürfnisse, sowie Arbeitsorganisationen und -prozesse verändert.
2. Wie verändert die Digitalisierung Personennahe Dienstleistungen?
Es ist die Digitalisierung, die Unternehmen dazu drängt, sich darauf zu besinnen, was ihr eigentliches, selbstgestecktes Ziel im Wirtschaftssystem sein sollte: Menschen darin zu unterstützen, dass sie ihr Leben so leben können, wie sie wollen. Die digitale Vernetzung und heute hohe Verfügbarkeit von privaten Smartphones oder anderen Endgeräten hat dazu geführt, dass jeder und jede im ganz normalen, täglichen Leben auf mannigfaltige digitale Dienstleistungen zugreifen kann. Diese ersetzen die ehemals persönlichen Dienstleistungen, wie z. B. im Online‐Handel, oder ergänzen sie – sehr häufig mithilfe von Services, die einem Kauf vor‐ oder nachgelagert sind. Neue Dienstleistungen lösen ganze Problemstellungen von Menschen, anstatt nur einzelne Bedürfnisse zu adressieren, oder sie passen ehemals digitale Produkte, wie Musik oder Filme, an den einzelnen Nutzer und seine Situation an. Weiter beobachten wir Phänomene des Teilens, Tauschens und des Abonnements von Gütern, die Menschen, statt sie nutzlos zu besitzen, lieber besitzlos nutzen. Genauso nehmen wir wahr, dass ein Angebot für einen Kunden nicht nur von einem institutionalisierten Anbieter wie einem Unternehmen alleine kommen muss. Stattdessen entscheiden Kunden zunehmend, eigene Kompetenzen auszuprägen und diese für sich im Do-it-Yourself oder für andere, als Maker (z. B. bei Uber oder Airbnb), zu nutzen. All dies wird entweder erst durch die Digitalisierung ermöglicht oder durch diese maßgeblich unterstützt.
Bei näherer Betrachtung zeichnet alle diese erfolgreichen Geschäftsmodelle der digitalen Transformation ein zentrales Merkmal aus: Ihr Angebot ist genau darauf ausgerichtet, dem Menschen einen besonderen Wert zu versprechen. Sie alle bieten also Personennahe Dienstleistungen an.
All diese Erkenntnisse müssen in der Gestaltung von digitalen, personennahen Dienstleistungen berücksichtigt werden.
3. Welchen Nutzen bringt „Service For Good“ von BeDien, was zeichnet sie aus und welche Vorteile bietet sie?
Wie dargestellt, setzt sich mit der digitalen Transformation der Service-Gedanke zunehmend in allen Bereichen der Wirtschaft und in allen Industrien durch. Dies umfasst nicht nur die Erbringung von Dienstleistungen, sondern beinhaltet ein neues Verständnis der Wertschöpfung, von Business-Ökosystemen und Kundenbeziehungen. Für die Entwicklung von innovativen Dienstleistungen in einer digital transformierten Welt bedarf es neuer Gestaltungsmethoden und grundlegender theoretischer Konzepte, die wir in diesem Beitrag mit der Initiative „Service for Good“ für den Markt zur Verfügung stellen.
Die Entwicklungen der vergangenen Jahre führen uns vor Augen, dass sich grundlegende Annahmen über Märkte, Produkte, Dienstleistungen, Kundenbedürfnisse und -beziehungen sowie Wertschöpfung verändern. Die Gewinner der digitalen Transformation machen vor, was theoretische Ansätze der modernen Betriebswirtschaftslehre erklären: die Zukunft liegt in der Gestaltung von Services, die auf die persönliche Situation von Menschen ausgerichtet sind.
Es zeigt sich, dass bestehende Methoden zur Geschäftsmodelentwicklung oder Produkt-Dienstleistungsgestaltung, wie zum Beispiel die Business Modell Canvas oder Methoden des Design Thinking nicht ausreichen, um personennahe Dienstleistungen umfänglich aufzusetzen. Deswegen wurde ihm Rahmen des BMBF BeDien Projekts ein Methodenset zur Gestaltung Personennaher Dienstleistungen entwickelt und in praktischen Anwendungen iterativ über drei Jahre ausgearbeitet.
Diese Erkenntnisse werden über die Initiative Service for Good für Unternehmen und Wissenschaftler zur Verfügung gestellt. Service for Good unterstützt dabei Unternehmen in der Gestaltung zukunftsorientierter Angebote, die das Wohlergehen von Menschen in den Vordergrund stellen. Service for Good umfasst das oben beschriebene neue Dienstleistungsverständnis, einen anwendungsorientierten Gestaltungsrahmen, neue Methoden zur Dienstleistungsentwicklung, sowie eine Community von Unternehmen, Unternehmensvertretern und Wissenschaftlern, die dieses Verständnis weiterentwickeln und helfen, es in der täglichen Unternehmenspraxis umzusetzen.