Drei Fragen an… Dr. Nadine Müller, Leiterin ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit
„Drei Fragen an…“ ist ein Kurzinterview-Format, in dem Projekte über ihre Arbeit berichten.
Datum 31.01.2023
Ver.di war bei der Ausarbeitung der Förderrichtlinie „Zukunft der Arbeit. Arbeiten an und mit Menschen“ beteiligt und engagiert sich in der Veranstaltungsreihe "Arbeiten mit Menschen – Interaktionsarbeit humanisieren" zudem für die gute Gestaltung von Interaktionsarbeit.
Was ist aus Ihrer Sicht mit dem Förderschwerpunkt erreicht worden?
Mit dem Förderschwerpunkt ist erstmals die Erforschung der Arbeit mit Menschen umfassender gefördert worden. Das war bitter nötig, denn da nun drei Viertel der Wertschöpfung und Beschäftigung im Dienstleistungssektor stattfinden, hat diese Form der Arbeit an Verbreitung und Bedeutung immens zugenommen. Sie ist jedoch auch mit Blick auf das Wissen, wie sie human und gesund gestaltet werden muss, sträflich vernachlässigt worden. Waren es bis dahin lediglich einige wenige WissenschaftlerInnen, die diese Arbeit erforscht haben, hat sich der Kreis auch der PraktikerInnen, die hier aktiv geworden sind, sowie der Erkenntnisgewinn mit der Ausschreibung etwas vergrößert.
Wo meinen Sie sollte – oder müsste – noch weitergearbeitet werden oder welche Handlungsbedarfe sehen Sie noch?
Ich sehe großen Handlungsbedarf, die Forschung zu Interaktionsarbeit zu verstetigen, auszuweiten und als Schwerpunkt in der Arbeitswissenschaft zu fördern. Es wurden mit den ersten überschaubaren (auch in der Zahl) meist dreijährigen Projekten Ansätze gelegt, die weiter verfolgt und ergänzt werden müssen. Nur wenn es weitere Förderung gibt, kann an die nun erzielten Ergebnisse angesetzt und das Gestaltungswissen weiterentwickelt werden; werden die ForscherInnen an dem Thema, mit dem sie sich teils erstmalig auseinandergesetzt, dranbleiben und sich hier weiter qualifizieren. Erst so kann auch eine Wissenschafts- und Forschungsgemeinschaft entstehen, die für den Austausch und die Entwicklung von Gestaltungswissen grundlegend ist. An solch einem Gestaltungswissen für Interaktionsarbeit gibt es weiterhin großen (Nachhol-)Bedarf, bspw. zum Thema Qualifizierung, Gesundheitsschutz und Gefährdungsbeurteilung, Technisierung und Digitalisierung – und bei all dem reicht es eben nicht, den Fokus auf die Beschäftigten zu legen, sondern die KundInnen, KlientInnen, PatientInnen, Lernenden sind stets zu berücksichtigen.
Welche Lehren ziehen Sie aus der Coronapandemie? Einige der Berufe, die hohe Interaktionsanteile haben, sind durch die Pandemie ja stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Hat das auch Auswirkungen auf die Arbeitsqualität der Beschäftigten gehabt?
Wir haben keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Qualität der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sich aufgrund der zeitweisen öffentlichen Aufmerksamkeit gebessert hätte. Eher ist es so, dass sich die Bedingungen während der Pandemie nochmal verschärft haben und Beschäftigte in einigen Branchen aus ihren Beruf gegangen sind. Bei ca. 42% der Beschäftigten wurde der Kontakt zu KundInnen, KlientInnen, PatientInnen, Lernenden durch digitale Kommunikation ersetzt, was eher – nämlich bei 33% - zu einer Zunahme der Belastung geführt hat. Hier zeigen sich u.a. auch die Grenzen von Digitalisierung und damit die Fortsetzung des Trends, dass Arbeit mit Menschen weiter zunehmen wird.