Geschichte der Interaktionsarbeit
Interaktionsarbeit im Zeichen des Wandels der Arbeit
Interaktionsarbeit hat es immer schon gegeben. Der Mensch hat als soziales Wesen immer in einer Gruppe gelebt und die Ziele und Aktivitäten in dieser Gruppe miteinander abgestimmt. Mit der entwicklung neuer Geschäftsmodelle und der Einführung neuer Technologie ändert sich auch die Arbeit an und mit Menschen.
Das Wort „Interaktion“ stammt aus dem lateinischen und wird zusammengesetzt aus „inter“, also zwischen und „actio“, Handeln oder Aktion. In der Soziologie sowie der Psychologie wird der Begriff als „aufeinander bezogenes Handeln zweier oder mehrerer Personen“ verwendet. Interaktion spielt also sowohl in privaten Paarbeziehungen als auch in Familien, unter FreundInnen und in der Öffentlichkeit, ob als Bahnreisende oder BankkundInnen, eine wichtige Rolle in unserem täglichen Leben. Hinzu kommt die Interaktion in der Arbeitswelt, also mit Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzen und, je nach Art der Tätigkeit und der Branche, mit KundInnen, PatientInnen, Gästen, SchülerInnen oder AuftraggeberInnen. Der Begriff „Arbeit“ wird als eine zielgerichtete, soziale, planmäßige, bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit verstanden. In der Soziologie wird Arbeit vor allem als Prozess gesehen, in dem Menschen soziale Beziehungen eingehen. Unterschiedliche Formen der Arbeit wirken über den Arbeitsprozess hinaus auf gesellschaftliche Strukturen. Entsprechend haben sozialer Wandel und die Veränderung von Arbeitsformen und Arbeitsinhalten einen großen Einfluss aufeinander.
Interaktionsarbeit, die Arbeit von einzelnen oder Teams an und mit Menschen gibt es demnach schon sehr lange, auch wenn der Begriff sich seit Ende der 90er Jahre v.a. im deutschsprachigen Raum durch die Arbeiten von Jürgen Glaser, Fritz Böhle und Winfried Hacker weiter etabliert hat (siehe auch „Was ist Interaktionsarbeit?“). Dabei hat sich die Art der Interaktionsarbeit über die Zeit durch Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Technik verändert. Prozesse wie die Industrialisierung (Fließbandarbeit, Steigerung der Produktion durch Technisierung), die Tertiarisierung (Strukturwandel und Dienstleistungsgesellschaft), die Globalisierung (weltweite Arbeitsteilung) und die Digitalisierung haben die Arbeitswelt geprägt und Interaktionsarbeit stark verändert. Hinzu kommen Megatrends wie der demografische Wandel und die Diversifizierung der Gesellschaft, die sich ebenfalls auf Interaktionsarbeit auswirken.
Heute findet Interaktionsarbeit nicht mehr nur face-to-face – im selben Raum zur selben Zeit – statt, sondern oft medial und digital unterstützt. Zudem kann (oder muss) die KundIn immer stärker Einfluss auf Produkte oder Dienstleistungen nehmen, verändert also ihre Rolle von der eher passiven KonsumentIn zur aktiveren Co-ProduzentIn. Der Trend zur Individualisierung führt dazu, dass mehr Netzwerkarbeit (und damit auch Interaktionsarbeit) zwischen mehreren Dienstleistern und Kunden stattfinden muss. Daneben interagieren Menschen immer häufiger auch mit Maschinen und nicht mehr nur mit Menschen. Viele technische Meilensteine der vergangenen 100 Jahre, von der Erfindung des Telefons bis hin zum Smart Phone, hat die Interaktionsarbeit und die Anforderungen an selbige verändert. Auch andere gesellschaftliche Entwicklungen wie der höhere Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund oder viele hochbetagte Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz haben ähnliche Wirkungen, die Interaktionsarbeit immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.
Zentrale Meilensteine in der Geschichte der Interaktionsarbeit sind beispielsweise einschneidenden Ereignisse wie die Entwicklung des Geldautomaten bzw. des Ticketautomaten, die Einführung der Fallpauschale im Gesundheitswesen, die Etablierung des Supermarktes oder die Verbreitung von Callcentern. All diese unterschiedlichen Kontextfaktoren haben wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der Interaktionsarbeit zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger und beeinflussen die Belastungskonstellationen und damit auch die gesundheitlichen Auswirkungen der Arbeit.