Drei Fragen an UMDIA – Unterbrechungsmanagement bei digital gerahmter Interaktionsarbeit
„Drei Fragen an…“ ist ein Kurzinterview-Format, in dem Projekte aus dem Förderschwerpunkt über ihre Arbeit berichten.
Datum 22.07.2021
Unterbrechungen im Arbeitsalltag sind eine arbeitswissenschaftlich gut untersuchte Belastungsquelle. Gestaltungsansätze setzen meist an deren Vermeidung an. Gleichzeitig gehören Unterbrechungen jedoch zur Arbeit an und mit Menschen dazu. Denn Interaktionsarbeit ist eine offene und dynamische Angelegenheit, die Spielräume braucht. Dienstleistungsbeziehungen lassen sich daher nicht unterbrechungsfrei durchorganisieren, ohne die Dienstleistungsqualität zu gefährden.
UMDIA führt daher eine Unterscheidung zwischen essenziellen und vermeidbaren Unterbrechungen ein. Da essenzielle Unterbrechungen nicht reduziert werden können (und auch nicht sollen), aber oftmals trotzdem stören, ist ein konstruktiver Umgang mit solchen Unterbrechungen zu fördern bzw. zu etablieren. Vermeidbare Unterbrechungen indes lassen sich tatsächlich reduzieren.
Es werden daher Analyse- und Gestaltungsinstrumente entwickelt, mit deren Hilfe vermeidbare Unterbrechungen im Arbeitsablauf erkannt und abgebaut werden können und diejenigen Unterbrechungen, die zur Dienstleistungsarbeit dazugehören, produktiv bearbeitet werden können. Im Ergebnis entsteht ein Pool aus Instrumenten für die Gestaltung eines branchenübergreifenden, aber auch -spezifischen Unterbrechungsmanagements. Grundlage sind empirische Untersuchungen im Einzelhandel, in der stationären Krankenpflege, in der Fabrikplanung und in der Softwareentwicklung.
Auch wenn Digitalisierung eine neuartige Unterbrechungsquelle darstellt, kann sie zu einem konstruktiven Unterbrechungsmanagement beitragen. Ein solchermaßen interaktionsarbeitssensibles und digital gestütztes Unterbrechungsmanagement kann die Wertschätzung von Interaktionsarbeit steigern und insgesamt zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Dienstleistungsarbeit beitragen.
1. Wie lassen sich die verschiedenen Arten von Unterbrechungen unterscheiden? Was wären Beispiele für vermeidbare und essenzielle Unterbrechungen?
UMDIA ist gerade dabei, ein Analyseinstrument zu entwickeln, das Beschäftigte in ihrer Arbeit einsetzen können. Es soll dabei helfen, Unterbrechungen differenzierter zu betrachten. Mit Hilfe des Instruments können die AnwenderInnen eine erlebte Unterbrechung einordnen und bewerten. Sie werden unter anderem aufgefordert, sich selbst danach zu befragen, wer unterbrochen hat, welche Tätigkeiten unterbrochen worden sind und aus welchem Grund dies geschehen ist. Zudem dient das Instrument dazu, dass Beschäftigte und Unternehmen die Ursachen und Folgen von Unterbrechungen, aber auch die Möglichkeiten der Veränderung der Rahmenbedingungen der Arbeit gemeinsam thematisieren und bearbeiten können. Zur Illustration ziehen wir im Folgenden Beispiele aus der stationären Krankenpflege heran.
So kann eine Pflegefachperson zum Beispiel feststellen, dass sie es gar nicht als Unterbrechung ihrer Arbeit wahrnimmt, wenn eine Patientin erst einmal verweigert, dass die Körperpflege durchgeführt wird. Und warum nicht? Solche Vorfälle sind der Inhalt der Pflegearbeit, und sie werden in der Regel in der Interaktionsarbeit (z.B. durch Arbeit an den Gefühlen der Patientin) gut bewältigt. Wenn die Beschäftigte jedoch die Pflegehandlung abbrechen muss, weil bei einem anderen Patienten ein Notfall eingetreten ist, wird sie das als eine Unterbrechung einordnen – und zwar als eine essenzielle Unterbrechung, denn auch die Versorgung des anderen Patienten gehört ja zu ihrem Aufgabenbereich. Gleichwohl wird die Pflegefachperson die Unterbrechung ihrer aktuellen Tätigkeit als störend empfinden. Es kann aber auch Folgendes geschehen: Die Pflegefachperson sieht, dass bei der Patientin, die sie bei der Körperpflege unterstützen möchte, die Infusion abgenommen worden ist. Sie ist überrascht, kann aber in der Dokumentation keine entsprechende Anordnung sehen. Das nun würde wohl als eine vermeidbare Unterbrechung eingeordnet werden, die störend ist und Zusatzaufwand nötig macht, denn nun muss sie bei der zuständigen Ärztin nachfragen, was hier dahintersteckt.
2. Was kann das Unterbrechungsmanagement zur Unterstützung guter Interaktionsarbeit beitragen?
Das zu entwickelnde Instrumentarium soll u.a. auch dazu dienen, den eigenen Umgang mit Unterbrechungen zu beobachten und festzuhalten. Denn es wird auch nach dem „individuellen Unterbrechungsmanagement“ gefragt. So kann eine Pflegefachperson entdecken, dass bestimmte Unterbrechungen gar nicht erst eintreten, weil sie selbst vorausschauend gehandelt hat. Weil eine herausfordernde Pflegesituation bei einer Patientin ansteht, hat sie einen Kollegen gebeten, bei einem etwaigen Notfall einzuspringen, solange sie selbst mit dieser Patientin beschäftigt ist. Falls die Pflegehandlung trotzdem unterbrochen wird, erkennt die Pflegefachperson, dass sie Gewährleistungsarbeit erbringt: Sie teilt der Patientin mit, warum sie sie nun alleine lassen muss und erklärt ihr später ausführlicher, warum das in dieser Situation nicht zu vermeiden war. So lernen Pflegefachpersonen die professionelle Interaktionsarbeit, die sie leisten, erst einmal selbst wertzuschätzen. Aber sie werden auch ermuntert, Ideen dazu zu entwickeln, was das Unternehmen dazu beitragen kann, dass vermeidbare Unterbrechungen reduziert und essenzielle Unterbrechungen produktiv bearbeitet werden können.
Wenn wir den oben beschriebenen Fall, bei dem die ärztliche Anordnung nicht dokumentiert ist, noch einmal heranziehen, können wir sehen, dass sich daraus konkrete Gestaltungsanforderungen ableiten lassen: Zum einen sollte die interprofessionelle Zusammenarbeit verbessert werden; zum anderen sollte das Dokumentationssystem daraufhin überprüft werden, wie benutzungsfreundlich es ist und wo Anpassungen möglich sind – gerade auch deshalb, weil es von mehreren Beschäftigten und Beschäftigtengruppen parallel und live genutzt wird und damit ständig Aktualisierungen stattfinden, die man auch nachvollziehen (können) muss. In beiden Fällen bietet es sich an, eine wechselseitige Perspektivenübernahme zu fördern. Für den ersten Fall sollten ÄrztInnen wissen, welchen Aufwand es für Pflegefachpersonen bedeutet, wenn Informationen nicht weitergegeben werden.
UMDIA hat diese Idee bereits aufgenommen und entwickelt Maßnahmen, die die interprofessionelle Zusammenarbeit im Krankenhaus weiter verbessern und so zur Reduktion von Unterbrechungen beitragen. Für den zweiten Fall sollten diejenigen Personen, die (digitale wie analoge) Systeme und Prozesse gestalten, und diejenigen Personen, die diese Systeme anwenden und die Prozesse bedienen, in einen engeren Kontakt miteinander treten.
3. Welche Rolle spielt die Digitalisierung für das Unterbrechungsmanagement?
Unser Instrumentarium adressiert auch diejenigen Personen in den Unternehmen, die sich mit Arbeitsgestaltung und damit mit den Rahmenbedingungen des praktischen Tuns von Beschäftigten befassen. Der bisherige Stand der Forschung und die Ergebnisse aus unseren empirischen Untersuchungen im Krankenhaus lassen erwarten, dass Pflegefachpersonen auf die Frage danach, wer oder was sie unterbricht, auch digitale Tools oder digitalisierte Anweisungen nennen. Diese unterbrechen die Pflegearbeit dann, wenn sie nicht zur (Interaktions-)Arbeit und den notwendigen Arbeitsprozessen passen und daher mit dem professionellen Verständnis von Pflegearbeit kollidieren. Auf diese Weise droht der Verlust des Sinns, den Beschäftigte ihrer Arbeit beimessen und der immens wichtig ist für die Leistungsfähigkeit, die Motivation, die (psychische) Gesundheit und das Wohlergehen sowie auch für die Identifikation mit der Arbeit und dem Unternehmen.
Daher kommt dem frühzeitigen Einbezug von Beschäftigten in Prozesse der Technik-, Arbeits- und Prozessgestaltung – als ExpertInnen für ihre Arbeit – ein zentraler Stellenwert zu. Dies ist grundsätzlich wichtig und ratsam, hat aber eine besondere Bedeutung, wenn es um die Reduktion und Prävention von Unterbrechungen durch digitale Tools geht. Digitale Tools bieten ein immenses Potential zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen, wie sich z.B. im Falle der durch Laptops unterstützten mobilen Visitenwägen zeigt, mit denen direkt am Bett dokumentiert werden kann und die in Krankenhäusern zunehmend zum Einsatz kommen. Damit die Besonderheiten von interaktiven Arbeitsprozessen Berücksichtigung finden, ist es jedoch notwendig, solche Vorhaben zusammen mit Beschäftigten zu gestalten. Denn gerade bei der Interaktionsarbeit kann der Technikeinsatz zu störenden Unterbrechungen führen, und die Beschäftigten müssen die neuen Arbeitsmittel mühsam in ihre Arbeit integrieren – oder sie benutzen sie gleich gar nicht (was nicht im Sinne der Organisation ist). Auch weil technische Neuerungen oft umfassende Change-Prozesse mit sich bringen, bedarf es von Anfang an der gemeinsamen Verständigung über die angestrebten Ziele. Nur so lässt sich ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis bei allen Betroffenen erreichen – auch für die Organisation bzw. für das Unternehmen.
Ein konkretes Beispiel, wie Digitalisierung zum Unterbrechungsmanagement beitragen kann, ist das sogenannte Patienteninformationssystem. PatientInnen, aber auch Angehörige könnten durch die Verwendung einer App bzw. durch Einscannen eines QR-Codes mit Weiterleitung auf Informationsseiten des Krankenhauses im Web auf ihrem privaten mobilen Endgerät relevante stationsspezifische Informationen erhalten, wie z.B. die zeitlichen Abläufe von Visiten oder Mahlzeiten. Unterbrechungen durch diesbezügliche Nachfragen von PatientInnen an die Pflegepersonen würden sich damit reduzieren. Angehörige wüssten, wann gute Zeitpunkte für Besuche oder telefonische Anfragen wären. Hier gibt es allerdings noch viel Spielraum für weitere Konkretisierungen, wie z.B. die Möglichkeit, auch Untersuchungstermine und dergleichen in einer Art Kalenderfunktion zu integrieren. UMDIA arbeitet daran.