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Drei Fragen an PARCURA – Partizipative Einführung von Datenbrillen in der Pflege im Krankenhaus

„Drei Fragen an…“ ist ein Kurzinterview-Format, in dem Projekte aus dem Förderschwerpunkt über ihre Arbeit berichten.

Datum 09.03.2022

"Partizipative Einführung von Datenbrillen in der Pflege im Krankenhaus" ist der Kurztitel des vom Bundesforschungsministerium (BMBF) und vom Europäischen Sozialfonds (ESF) im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunkts "Arbeiten an und mit Menschen" geförderten Projekts PARCURA. Der Fokus des Projekts lag anfänglich auf dem Nachtdienst in kardiologischen Normalstationen. Diese Stationen zeichnen sich durch einen hohen Überwachungsbedarf aus, wobei die Arbeitsbelastung aus Sicht der Pflegenden noch durch die meist kurze Verweildauer und durch die infolgedessen hohe Fluktuationsrate der zu behandelnden Personen erhöht wird. Speziell im Nachtdienst kommt hinzu, dass ärztliche und pflegerische Ansprechpersonen für die Pflegenden etwa im Fall von Notsituationen selten direkt vor Ort sind.

Ziel des Projekts war es bislang, am Beispiel der Einführung einer Datenbrille in der stationären Pflege im Krankenhaus ein auch in andere Anwendungskontexte übertragbares Vorgehen für die partizipative und sozialverträgliche Einführung digitaler Assistenzsysteme mit dem Ziel zu entwickeln, Pflegenden die Arbeit zu erleichtern und die Interaktionsarbeit zu unterstützen.

1. Wie können Datenbrillen helfen, Pflegenden im Krankenhaus die Arbeit zu erleichtern und die Interaktionsarbeit zu unterstützen?

Bei der Antragstellung für das Projekt wurde davon ausgegangen, dass es für Pflegende hilfreich und entlastend sein kann und sich darüber hinaus positiv auf die Interaktionsarbeit mit den zu Pflegenden auswirkt, wenn direkt am Bett oder schon auf dem Weg dorthin aus dem Krankenhausinformationssystem (KIS) wichtige Informa­tionen über die zu pflegende Person abgerufen und in der Brille angezeigt werden können, z. B. Name, Hauptdiagnose, (Notfall-) Medikation, Allergien u. V. m.

Positive Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die Interaktionsarbeit wurden auch davon erwartet, dass durch den Einsatz einer Datenbrille die bislang patientenferne, aufwändige und meist auch nicht besonders geschätzte Dokumentationsarbeit deutlich reduziert werden kann, indem die Dokumentation "hands-free" und "on-the-fly" erfolgt, z. B. per Spracheingabe.

Positive Auswirkungen waren schließlich auch vorstellbar, wenn Pflegende bei Bedarf eine an einem anderen Ort befindliche Person des ärztlichen oder pflegerischen Fachpersonals über die Datenbrille live dazuschalten können, um sich durch einen Blick über die Schulter direkt am Bett fachliche Unterstützung einzuholen, sei es in einem Notfall, bei der Bedienung von medizinischen Geräten oder anderweitig relevanten Pflegehandlungen. Ein ähnlicher Effekt war zu erwarten, wenn Pflegende bei Bedarf die Möglichkeit haben, im System hinterlegte Text-, Foto- oder Video-Anleitungen über die Datenbrille abzurufen, die bei Bedarf unterstützend für pflegerische Arbeiten zur Verfügung stehen. Ebenso wie beim Blick über die Schulter kann der pflegenden Person dadurch ein erhöhtes Sicherheitsgefühl vermittelt werden mit entsprechend positiven Auswirkungen auf das Stress-Empfinden und auf die Qualität der Interaktionsarbeit an und mit den zu Pflegenden.

2. Im Projektakronym PARCURA steht die Silbe "PAR" für Partizipation und im Projekttitel heißt es: "Partizipative Einführung von Datenbrillen". Wie wird das im Projekt umgesetzt?

In den projektbeteiligten beiden Krankenhäusern konnten zwei periphere kardiologische Stationen dafür gewonnen werden, sich am Projekt PARCURA zu beteiligen. Die Pflege sollte dabei von Anfang an aktiv mitgestaltend in den Prozess zur Entwicklung und Einführung der Datenbrille eingebunden sein, ganz so, wie es auch im Memorandum "Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege" gefordert wird – vgl. online memorandum-pflegearbeit-und-technik.de.

Ausreichende Ressourcen zur Mitwirkung und Qualifizierung waren dafür eingeplant. Zusätzlich zu einer Koordinierungsstelle wurde in den beiden Krankenhäusern jeweils eine so genannte Projektpflegefachperson in Vollzeit eingestellt, die zum einen Teil des Teams der beteiligten Projektstation ist, die zum anderen aber auch einen Teil ihrer Stelle abseits des Stationsalltags exklusiv für das Projekt zur Verfügung hat, um so aktiv die Perspektive der Pflege in die inhaltliche Arbeit einzubringen.

Eine weitere Idee zur Umsetzung des Partizipationsanspruchs wurde von den projektbeteiligten Stationen selbst initiiert und umgesetzt: die Bildung von Projektteams. Ein Projektteam setzt sich aus der jeweiligen Projektpflegefachperson, Pflegefachleitungen, einer/m Vertreter/in der Mitarbeitervertretung, optional den Bereichsleitungen sowie zwei bis drei interessierten Pflegefachpersonen der projektbeteiligten Stationen zusammen. Aufgabe der Projektteams ist es, in gemeinsamen Sitzungen mit den Forschungspartnern die Expertise der stationären Pflege in den Prozess der Technik­gestaltung und ‑einführung einzubringen; beispielsweise, wenn es darum geht, die Einsatzmöglichkeiten der Datenbrille zu konkretisieren. Darüber hinaus fungiert das Projektteam als Brücke zu den weiteren Kolleginnen und Kollegen der projektbeteiligten Stationen, die bei Interesse jederzeit zusätzlich an den Sitzungen teilnehmen oder sich über andere Wege mitteilen können.

Wie sich allerdings herausgestellt hat, ist die konkrete Umsetzung des Partizipations­anspruchs im betrieblichen Alltag der stationären Pflege im Krankenhaus eine echte Herausforderung, was durch die Pandemie noch zusätzlich verschärft wurde. Ausführlicher wurde das schon mal auf dem Pflege-Kolloquium "Zur praktischen Umsetzung partizipativer Gestaltung von Arbeit und Technik in der professionellen Pflege" thematisiert, das auf Initiative des Projekts PARCURA Ende Juli 2021 im Rahmen der vom Metaprojekt InWiGe initiierten Kolloquienreihe "Interaktionsarbeit in der Pflege" stattgefunden hat – siehe dazu auch die Nachberichterstattung auf der InWiGe-Website.

3. Was ist das Verständnis von "Interaktionsarbeit" im Projekt PARCURA?

Im Förderschwerpunkt ist PARCURA in der Fokusgruppe 1 aktiv, also in der Gruppe, die in der ursprünglichen Vorstellung die direkte Interaktion zwischen Dienstleistungsgeber und Dienstleistungsnehmer fokussiert. Der Fokus in PARCURA liegt allerdings nicht so sehr darauf, wie der Einsatz einer Datenbrille sich auf die unmittelbare Interaktionsarbeit zwischen Pflegenden und zu Pflegenden auswirkt, sondern darauf, wie die Arbeit von Pflegenden durch den Einsatz einer Datenbrille so gestaltet werden kann, dass sich positive Auswirkungen auf die Arbeits- und Interaktionsbedingungen der Pflegenden ergeben. Neben der Interaktionsbeziehung zu Patientinnen und Patienten ist dabei vor allem auch die Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege wie auch anderen Akteurinnen und Akteuren im jeweils relevanten Arbeitskontext von Bedeutung. Als für den Einsatz eine Datenbrille relevante Arbeitskontexte haben die projektbeteiligten Akteurinnen und Akteure aus der Pflege insgesamt neun herausgearbeitet, darunter auch solche, in denen die unmittelbare Interaktion mit Patientinnen und Patienten keine Rolle spielt wie etwa Schichtübergaben, das Stellen und Kontrollieren von Medikamenten oder die Inventarpflege.

Wird nur die unmittelbare Interaktion zwischen Pflegenden und zu Pflegenden betrachtet, ist es für Außenstehende sicher auch verwunderlich, dass die am Projekt PARCURA beteiligten Akteurinnen und Akteure aus der Pflege im Zuge des Auswahlprozesses der Datenbrille im Ergebnis mehrheitlich dafür plädiert haben, die HoloLens 2 von MICROSOFT als Datenbrillen-Modell für die weitere Arbeit im Projekt auszuwählen. Die HoloLens 2 kommt nicht zuletzt aufgrund ihres Visiers eher klobig daher, selbst wenn sich das Visier hochklappen lässt. Man kann sich deshalb nicht so recht vorstellen, wie dadurch die direkte Interaktionsarbeit zwischen Pflegenden und Patientinnen und Patienten unterstützt werden kann. Wird man unvorbereitet damit konfrontiert, kann der ungewohnte Anblick Angst erzeugen, insbesondere bei deliranten oder dementen Patientinnen und Patienten. Trotzdem ist die HoloLens 2 aus dem Abwägungsprozess der Vor- und Nachteile als klarer Favorit hervorgegangen. Die Pandemie hat außerdem weitere Situationen aufgezeigt, in denen die Verwendung einer Datenbrille von Vorteil sein kann. MICROSOFT selbst weist z. B. darauf hin, dass durch den Einsatz der HoloLens in Hochrisikobereichen in Krankenhäusern in London die Zeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Bereichen verbringen, um fast 83 % verringert werden konnte – vgl. news.microsoft.com.

Hingewiesen sei abschließend noch darauf, dass, abgesehen vom Aspekt der Interaktions­arbeit, zahlreiche weitere Aspekte beim Einsatz von Datenbrillen in der Pflege im Krankenhaus zu berücksichtigen sind, so etwa die organisatorischen und vor allem auch die technischen Gegebenheiten. Man denke beispielsweise an die Anbindbarkeit der Datenbrille an das bestehende Krankenhausinformationssystem. Die bislang erzielten Projektergebnisse und ‑erkenntnisse werden aktuell für den Transfer aufbereitet und sollen für die interessierte (Fach-) Öffentlichkeit möglichst zeitnah auch über die Webseite des Projekts kommuniziert werden – vgl. PARCURA.DE.